Eine Schule für die Seele?

Ich habe zu wenig Vokabeln gepaukt, schiele unauffällig zu meiner Nachbarin rüber, um einige Vokabelfetzen zu erahnen. Sie bemerkt meine Verzweiflung, nimmt ihren Arm beiseite und lässt mich abschreiben. Nach der Stunde teilt sie mir in einem ruhigen Moment mit, dass sie nicht verstehe, weshalb ich abgeschrieben habe, dann könne ich mein Wissen ja später gar nicht richtig einschätzen. Es gehe schließlich nicht darum, vor den Augen des Lehrers gut dazustehen, sondern um eine Einschätzung meiner Leistung für mich selbst. Ich war sprachlos! Eine solche Sichtweise war mir völlig fremd.

10 Jahre habe ich in städtischen Schulen verbracht. In den ersten Jahren als ängstliche Schülerin, in den Jahren danach war ich voller Schulunlust und Desinteresse.

Das änderte sich schlagartig, als ich nach der 10. Klasse auf die Waldorfschule wechselte.

Beim Betreten einer Waldorfschule hat man nicht selten das Gefühl, in einer verwunschenen Märchenwelt angekommen zu sein. Alles erscheint harmonisch durchdacht, farblich kunstvoll gestaltet, man fühlt sich sofort heimelig und geborgen. Nichts erinnert hier an eine Schule, in der druck- voll gelernt wird und in der es nicht selten nach Angst riecht.

Und damit bin ich im Hier und Heute mit meinen beiden Töchtern, die mittlerweile die 8. und 10. Klasse einer Waldorfschule besuchen.

»Ich fühlte mich plötzlich verliebt in meine Schule.«

Ich fühlte mich plötzlich verliebt. Das ist der passendste Ausdruck, der mir einfällt, um meine ganz besondere Verbindung zu meiner Schule zu beschreiben. Verliebt in das Gefühl, dass diese neue Schule in mir hervorgerufen hat.

Ich war erstaunt darüber, dass meine Mitschüler lernten, weil sie lernen wollten. Ich kannte nur den Kampf um gute Noten, egal mit welchen Mitteln. Die Inhalte interessierten mich nur am Rande.

Die Lehrer sahen jeden Schüler als individuelle Person. Sie interessierten sich dafür, wer ICH bin und ebenso dafür, wo ich im Leben hinwollte. Zudem hatte ich das Gefühl, viele von meinen Lehrern brannten für das, was sie unterrichteten. Sie begeisterten sich für das, was sie taten und transportierten dieses Gefühl in den Schulalltag.

Etliche, oft abgedroschene Vorurteile gibt es gegenüber der Waldorfschule. Jeder kann etwas dazu sagen, die wenigsten wissen jedoch wirklich Bescheid.

»Sockenstricker«, »Öko-Baumschule«, »Namentänzer«.

Tatsache ist, dass ich mich in meiner Waldorfschulzeit gesehen gefühlt habe und getragen wurde von einer stabilen Schulgemeinschaft und engagierten Lehrern.

Ich hatte plötzlich Lust auf Schule und Lernen; welch drastische Wandlung zu meiner gesamten bisherigen Schulzeit. Nach meinem Abitur war ich tatsächlich traurig darüber, dass meine wunderbare Schulzeit vorüber war. Ehrlicherweise habe ich damals sogar ein paar Tränen vergossen.

Aufgrund meiner Erfahrungen war es für mich selbstverständlich, dass meine eigenen beiden Kinder auch eine glückliche Waldorfschulzeit haben sollten.

Mit großem Enthusiasmus brachen wir auf in die Waldorfwelt. Ich hatte Erwartungen und Hoffnungen und gleichzeitig entwickelte sich recht bald die Sorge, dass meine Erwartungen realitäts- fern sein könnten.

Ich hatte die Hoffnung, dass meine Kinder ihre Schule lieben würden, dass sie freudig aus eigenem Antrieb heraus lernen würden, getragen von einem sozialen Miteinander, durchdrungen von künstlerischem Arbeiten. Eine fast heilige Vorstellung. Ich wünschte mir einen Unterricht, in dem (ganz nach reformpädagogischem Idealbild) Kopf, Herz und Hand gleichermaßen angesprochen würden.

Meine Kinder sollten selbstständig denken und handeln können, von hoher sozialer Kompetenz geprägt sein, achtsam und verantwortungsvoll mit sich selbst und ihrer Umwelt umgehen, künstlerisch gebildet und vor allem tätig sein und zudem umfassend in den Kulturtechniken ausgebildet werden.

Würde diese Schule meinen Hoffnungen gerecht werden können? Oder sind meine Erwartungen hoffnungslos am Leben vorbei gedacht?

Neugierig geworden? Den ganzen Artikel finden Sie in der aktuellen Ausgabe von „Großeltern“

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